Sonntag, 6. September 2009

2. Zyklus: Chris de Burgh

Zehn Minuten noch. Zehn Minuten und er würde wieder auf der Bühne stehen. Die Bühne, die da unten, vor dem Fenster aus Spahnholz zusammengezimmert wurde.
Wie lange ist das jetzt her? Das letzte Mal? Der tosende Applaus, tausend Kehlen die die eigenen Lieder mitgröhlen? Die Aufmerksamkeit tausender williger Menschen?
Chris de Burgh stand gedankenversunken vor dem großen Fenster und blickte auf das Treiben unten am Campus. Im Hintergrund hauchte Diana Krall die letzten Akkorde ihres Songs und Chris wiegte in dem sanften Beat mit.
Direkt vor ihm beobachtete er, wie seine Crew, nun für 2,50 die Stunde, die Bühne aufbaute. Seine Bühne. Bis um 17 Uhr musste das fertig sein. Aber seine Männer schafften das. Eine gute Crew war nun mal Gold wert. Ganz im Gegensatz zu der Crew seiner letzten Tour - totaler Reinfall.
Damals hatte er noch, aufgrund einer sich ankündigenden Wirtschaftskrise, einen Dollar 75 pro Stunde gezahlt. Die Arbeiter hatten ihn gefesselt und geknebelt und wollten ihn auf der Bühne, vor Publikum vergewaltigen. Einer der Hools hatte damals bei einem Fernstudium Bücher von Plinius dem Älteren gelesen und besonders die öffentlichen Hinrichtungen und sonstige Barbareien hatten es ihm angetan. So hatte er seine Mitarbeiter und Handwerker von seinem Plan, Chris einen Denkzettel hinterlassen zu wollen, überzeugt. Sie überwältigten ihn, als er eben mit seiner Mutter telefonierte und schleppten seinen zitternden Körper auf die Bühne. Glücklicherweise torkelte im selben Moment ein besoffener Hells-Angel auf die Bühne, der als Security-Service angestellt war, und krachte in den Pöbel. Die Crew, alles Hippies aus der 60'er Bewegung, die einige Kaffefahrten nach Darjeeling mitgemacht hatten, glaubten der ersehnte Angriff der hinduistischen Rachegöttin Wishnu beginne nun und sie türmten. Einer der Tontechniker, ein alter Hase der beinahe Woodstock mitgemacht hätte, stoplerte zu allem Unglück über das Mikro und verhedderte sich in dem Kabelwust. In seiner Angst und seinem Acid-trip rezitierte er hinduistische Glaubensbekenntnisse, welche auf die riesige Boxenanlage übertragen wurde. Das Publikum, schockiert über diese satanische Atmosphäre, brach in Panik aus und es herrschte Chaos.
Rund 1000 Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung und Erregung öffentlichen Ärgernisses gingen bei Chris ein. Eine Anzeige war sogar von seinem Retter, dem Hells-Angel-Security, allerdings wegen sexueller Belästigung, was Chris nicht ganz verstand. Desweiteren war sie auf Butterbrotpapier verfasst worden. Wahrscheinlich brauchte Dick, so hieß der Altocker, nur wieder ein paar Dollar, um seine Alimente zu zahlen.
Wie auch immer, diese Tournee war ein totaler Reinfall und niemals wieder würde Chris de Brugh seine Crew untertariflich entlohnen - dafür hatte er eine zu große Homophobie.
Der Einzige den Chris aus seiner alten Crew behalten hatte und der auch heute für ihn arbeitete, war Oleg. Oleg war Pole in den Mitte sechziger und kam aus dem verschlafenen Nest Thorn. Bei dem gewaltätigen Übergriff vor 15 Jahren, saß Oleg hinter der Bühne und rauchte einen Joint. Selbst wenn er den Tumult mitbekommen hätte - das Gras war damals wesentlich wirkungsvoller als heute - wäre er sicher nicht eingeschritten, Chris zu Hilfe. Er hatte nie eine wirklich Bindung zu den De Burghs gehabt. Außer zu Ednar de Burgh, der Oma von Chris. Sie hatte Oleg damals von der Strasse geholt. Er war heute bei dem Revival nur an Bord, wegen des üppigen Lohns von 2,50 die Stunde - ein warmer Geldregen für Olegs Portemonnaie.

Es kribbelte Chris in den Fingern. Er war unbeschreiblich nervös. Monatelanges Gitarreüben, um bei dem großen Feuerwerk-Finale ein ausgiebiges E-Gittaren-Solo zu spielen. "Played it till my fingers bled..." sang sein Busenfreund Brian Adams und er hatte Recht! Doch jetzt vibrierten des Künstlers Nerven nicht aufgrund des bevorstehenden Auftritts. Zumindest nicht nur. Van Gogh und Oscar Wilde soffen Grüne Fee und er rauchte gerne Mal einen oder -
Chris war zu Ohren gekommen, dass der hießige Campus Dealer Crystal-getränktes Spice vertreiben würde. Diesem Gerücht musste er nachgehen, musste doch dieser Cocktail echtes Teufelszeug sein. Genau das richtige für einen Teufelskerl wie ihn. Leider, und da bekam Chris Gänsehaut, war nur einer seiner Crewmitglieder vertrauenswürdig und qualifiziert genug um diesen Stoff zu besorgen. Philipè, der Affenbutler...

Donnerstag, 30. Juli 2009

1. Zyklus: Detective Doe

Als in John Does angemietetem Büro das Telefon klingelte, war Johns Sekretärin gerade in der Küche beschäftigt, die mehr einer Besenkammer glich - es gab lediglich einen Abstelltisch auf dem die Kaffeemaschine stand und ein wenig Zucker in einer Schale, gegenüber ein Fenster - sich einen Kaffee zu kochen. Das heiße Getränk spritzte ihr auf die zierliche Hand. Mit einem leisem Fluch stellte sie Kanne und Becher wieder auf den Tisch, eilte zum Telefon und nahm es von der Gabel.
"Detective Doe's Büro. - Tut mir leid, Mr. Doe ist noch nicht hier. - Ja, ich werde ihm eine Nachricht zukommen lassen."
Klingelnd öffnete sich im gleichen Moment die Eingangstür. Mit offenem Trenchcoat und schief sitzendem Filzhut schlurfte Doe in sein Büro.
"Ah...", entfuhr es der Sekretärin, "soeben ist Mr. Doe eingetroffen. Ich reiche sie weiter..."
Doe drehte sich um und wollte das Büro wieder verlassen, doch die übereifrige Mitarbeiterin hatte bereits den Fuss an der Tür und ihm den Hörer ans Ohr gedrückt.
Widerstrebend knurrte der Detective seinen Namen: "John Doe hier... - Ja, nur noch keinen Kaffee getrunken... - Um 8 am? Es ist kurz nach 7 am... - Ich weiß, dass sie die Uhr lesen können. - O.K. in 10 Minuten." Er klatschte das Telefon auf die Gabel und blickte seine Schreibkraft wütend an.
"Ich hatte noch nicht mal 'nen Kaffee, Sam, und du belästigst mich mit solchen Idioten."
Die Angesprochene drehte sich weg, stellte das Telefon wieder auf den Schreibtisch und täuschte hektische Beschäftigung vor.
"Wenn ich dir nicht jeden Morgen so einen "Idioten" aufdrücken würde, hättest du keine Kunden. - Da, trink meinen Kaffee!" Sie zeigte, in die Rumpelkammer, namens Küche. "Er ist noch heiß..."

Fünf Minuten hatte er im strömenden Regen warten müssen, nur eine alte Zeitung vom Vortag oder Vorvortag oder von letztem Jahr über dem Kopf, als Schutz. Endlich kam ein Taxi und ließ in bei laufendem Motor einsteigen.
"Wohin, Sir?", fragte der Fahrer mit leicht irischem Akzent, nach hinten gebeugt.
"Colorado-Street, Ecke Overlook-Hotel."
"Mmh... Feine Gegend.", fügte der Taxifahrer gedankenverloren bei und gab, an der Zigarette ziehend, Gas.
Doe zog seinen Trenchcoat eng um sich und legte den nassen Hut auf den Schoß. Er wischte sich mit dem Handrücken die Stirn und seufzte.

Etwas ruckartig hielt der Wagen vor einem großen Haus. Wasserspeier blickten auf den Gehsteig auf den nun auch Detevtive John Doe trat. 17 Dollar hatte dieses kleine irische Schwein ihm abgeluchst. Fast hätte er seinem Ärger Luft gemacht, hatte aber bereits Erfahrung mit irischen Hafenarbeitern und ihrem Nationalstolz gemacht. Also behielt er seine Wut erst mal für sich.
Wieder mit der alten Zeitung über dem Kopf betrachtete er eingehend das riesige Stadtanwesen. Mit langen, hochgezogenen Fenstern, von Säulen eingerahmt, bog es sich in den grauen Himmel. Doe trippelte die Treppe hoch, bedacht nicht zu fallen und drückte die Klingel. Er drückte sie noch mal und ein drittes Mal. Man solle nicht glauben, er hätte Zeit zu verschwenden.
Die Tür öffnete sich und ein langer, grauhaariger Mann mit in den Nacken geworfenem Haupt schaute ihn skeptisch an.
"Detective John Doe.", stellte sich Doe vor.
"Bitte treten sie ein, der Hass erwartet sie bereits..."